Montag, 17. Februar 2014

Lässt sich das Papstamt vermenschlichen?


Die sich seit dem 19. Jahrhundert im Papstamt konzentrierende Machtfülle wirft die Frage auf, inwieweit eine einzelne Person dem überdimensionalen Aufgaben- und Führungsspektrum und den sich daraus ableitenden Anforderungen gerecht werden kann. Seit Papst Johannes XXIII. sind Entwicklungen erkennbar, die in Richtung Machtbegrenzung weisen und - so ist zu hoffen - zu einer weniger zentralistischen und synodaleren Kirche der Zukunft führen werden.

Als Joseph Ratzinger 2005 Papst wurde, erzählte er sechs Tage nach seiner Wahl deutschen Pilgern, dass es ihm ganz schwindelig zumute wurde, als er erkannte, „dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde.“ Papst Franziskus gab am 28.07.2013 auf dem Rückflug von Brasilien nach Rom eine fliegende Pressekonferenz. Ein Journalist sprach ihn auf seine schlichte Lebensweise an. Er wäre ja in Santa Maria geblieben und hätte nicht die Papstgemächer des Apostolischen Palastes bezogen. Franziskus antwortete, dass das päpstliche Appartement zwar weitläufig, aber nicht luxuriös sei. Er hielte sich im Gästehaus auf „aus psychiatrischen Gründen, einfach weil ich das psychologisch nicht schaffe.“

Wer Papst wird lebt offensichtlich gefährlich. Entweder man geht seines bisherigen Lebens verlustig (Fallbeil) oder man fühlt sich veranlasst, besonderes Augenmerk auf die eigene psychische Gesundheit zu richten. Wenn man sich die Macht- und Verantwortungsfülle vergegenwärtigt, mit der dieses Amt seit dem I. Vatikanischen Konzil im Jahr 1870 ausgestattet ist, so hat das im katholischen Gesetzbuch von 1983 (CIC) festgeschriebene Wirkungsprofil etwas durchaus übermenschliches:

„Der Bischof der Kirche von Rom … ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden; deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann. (canon 331) Darüber hinaus ist der Papst Staatsoberhaupt des Staates der Vatikanstadt. Nachdem er „die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt (besitzt)“ (Grundgesetz, Art. 1), ist er der einzige absolute Monarch Europas.

Was bedeutet eigentlich „höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt“? Höchste Gewalt heißt, dass in der Kirche niemand über dem Papst steht. Mit voll ist gemeint, dass der Papst für das gesamte kirchliche Spektrum zuständig ist, also für Verkündigung und Lehre, den Heiligungsdienst der Liturgie und natürlich die Leitung und Repräsentation der katholischen Kirche. Voll meint auf einer anderen Ebene, dass die Amtsgewalt des Papstes Exekutive, Legislative und Judikative umfasst. Er ist also oberster Verwalter, oberster Richter und kann jederzeit kirchliches Recht verändern. Unmittelbar bedeutet, dass der Papst an keinen Instanzenweg gebunden ist und unabhängig von Zuständigkeiten eine Sache an sich ziehen kann. Universal hebt darauf ab, dass der Papst nicht nur Oberhaupt der lateinischen Kirche sondern auch der 22 unierten Ostkirchen ist. Ordentliche Gewalt meint schließlich „kraft des Amtes gegeben.“

Die Konzentration kirchlicher Macht im Papstamt ist ein Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts. Vor der damaligen zeitgeschichtlichen Kulisse glaubten die in der Kirche Tonangebenden, „dass nur eine monolithische Kirche dem neuzeitlichen Säkularismus widerstehen kann.“ (Lill 2011, S. 18) Eine zentralistisch auf den Papst ausgerichtete Kirche sollte Geschlossenheit garantieren. Wichtige Stationen waren das I. Vatikanum 1870, in dessen Verlauf die Mehrheit der Bischöfe das Dogma von der Unfehlbarkeit und vom Universalepiskopat der römischen Bischöfe durchsetzte, sowie das 1917 eingeführte römische Kirchenrecht (Kodex des kanonischen Rechtes), wo das vom Vatikan usurpierte Ernennungsrecht von Bischöfen festgeschrieben wurde. Ein Höhepunkt päpstlicher Machtentfaltung war im 20. Jahrhundert das Heilige Jahr 1950. In der im August vorgelegten Enzyklika Humani generis sprach Papst Pius XII. ein fundamentales Diskursverbot aus:

„Man darf … nicht annehmen, dass dasjenige, was in den Enzykliken dargelegt wird, als solches keine Zustimmung verlange, weil die Päpste darin nicht die höchste Gewalt ihres Lehramtes ausübten. Denn es handelt sich dabei um Äußerungen kraft des ordentlichen Lehramtes … Wenn also die Päpste in ihren Verfügungen vorsätzlich ein Urteil über eine bis dahin umstrittene Sache aussprechen, dann ist für alle klar, dass diese Sache nach der Absicht und dem Willen dieser Päpste nicht mehr als eine Frage gelten kann, welche der freien Erörterung zwischen den Theologen unterliegt.“ (Nr. 20)

Am 1. November desselben Jahres formulierte Papst Pius XII. das bislang letzte unter dem Anspruch der Unfehlbarkeit stehende Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.

Die Machtkonzentration im päpstlichen Amt bedeutet für den jeweiligen Inhaber des Heiligen Stuhls einerseits schier unbegrenzte Entscheidungsbefugnis, andererseits aber eine fast übermenschliche Anforderung und schwer zu tragenden Verantwortungsdruck. Zudem besteht die Gefahr, dass der Stellvertreter Christi sich als Stellvertreter Gottes geriert. Denn wer könnte Unfehlbarkeit beanspruchen außer Gott? „Nemo infallibilis nisi Deus ipse.“ (Küng 1989, S. 196) Mittlerweile ist der Zenit päpstlichen Autokratismus’ allerdings überschritten. Die letzte endgültige Entscheidung eines römischen Bischofs in höchster Lehrgewalt (ex cathedra), der dann das Attribut der Unfehlbarkeit zukommt, liegt bereits 64 Jahre zurück.

Papst Johannes XXIII. - seit 1958 im Amt – berief im Jahr 1961 für das Folgejahr das zweite Vatikanische Konzil ein, das eine Zeitenwende innerhalb der katholischen Kirche herbeiführte. Bei diesem Konzil, das pastoral und ökumenisch ausgerichtet war, wurden Dogmatisierungen bewusst vermieden. (Küng 1989, S. 69) Auch wurde an die synodale Tradition der Kirche angeknüpft und „kollegiale Organe wie die Bischofskonferenzen … aufgewertet.“ (Lill, S. 21)

In seiner Enzyklika Ut unum sint von 1995 spricht Johannes Paul II. von der Verantwortung, die er spürt, wenn er sowohl um Christi Wunsch, dass die Kirche eine Einheit sei, weiß als auch die ökumenische Sehnsucht der meisten christlichen Gemeinschaften wahrnehme. Er sieht es als große und langfristig anzulegende Aufgabe, miteinander „eine Form der Primatsausübung zu finden“ (Nr. 95), die von den einen wie den anderen anerkannt werden könnte.

Einen wichtigen Beitrag zur Vermenschlichung des Papstamtes hat Benedikt XVI. durch seinen wohlüberlegten und begründeten Rücktritt vom Pontifikat geleistet. Wie vorherzusehen, ließ die Kritik von konservativer Seite nicht auf sich warten. Der Krakauer Kardinal und langjährige Sekretär von Papst Johannes Paul II. (1978-2005), Stanislaw Dziwisz, verwies vor der polnischen Presse auf den seligen Johannes Paul II., der gesagt habe, „vom Kreuz steigt man nicht herunter.“ Und der gesinnungskonservative Historiker Roberto de Mattei kritisierte an Benedikts Rückzug, dass „das Erscheinungsbild der päpstlichen Institution in den Augen der Weltöffentlichkeit … seiner Sakralität entkleidet wird, um den Beurteilungskriterien der Modernität überantwortet zu werden.“

Papst Franziskus schreibt in seiner „apostolischen Ermunterung“ Evangelii gaudium vom November 2013, dass er sich aufgefordert fühlt, „an eine Neuausrichtung des Papsttums (zu) denken. Meine Aufgabe als Bischof von Rom ist es, offen zu bleiben für die Vorschläge, die darauf ausgerichtet sind, dass eine Ausübung meines Amtes der Bedeutung, die Jesus Christus ihm geben wollte, treuer ist und mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung entspricht.“(Nr. 32) Wie ein umgestaltetes Papsttum aussehen könnte, darüber mehr in der nächsten Jugendstil.


Stefan Schopf für die Ausgabe 34 der Jugendstil, 17.02.2014