Freitag, 23. November 2012

Du sollst nicht schwören!


Obwohl Jesus sagt „Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht", gibt es in der katholischen Kirche seit dem 4.Jahrhundert eine Schwurpraxis, die ihren traurigen Höhepunkt 1910 mit dem Antimodernisteneid Pius X. erreichte. Zwischen 1967 und 1989 mussten die Priester keinen Eid leisten. 1989 setzten Joseph Ratzinger und Papst Johannes Paul II. in Aktionseinheit eine veränderte Professio Fidei und einen verpflichtend zu leistenden neuen Treueid durch.


Eid und Gelöbnis haben in der alteuropäischen Welt eine lange und umstrittene Tradition und spielen auch in der heutigen demokratischen Gesellschaft eine Rolle. Der öffentliche Amtsträger schwört auf die Verfassung, der Soldat auf die Fahne und der kirchliche Amtsinhaber auf die Bibel. Im kirchlichen Bereich ist allerdings zu fragen, wie es sein kann, dass es einerseits eine klare Absage von Jesus an das Schwören gibt - „Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel ... noch bei der Erde“ (Mt 5,34) -, andererseits das derzeit geltende Kirchenrecht ein aus fünf Kanones bestehendes Kapitel Eid enthält, das mit einer Eid-Definition beginnt: „Ein Eid, das ist die Anrufung des göttlichen Namens als Zeugen für die Wahrheit“ (Can. 1199 § 1, Codex Iuris Canonici CIC 1983)

Während der Kirchenvater Johannes Chrysostomos (354 - 407) jeglichen Eid ablehnte, machten Hieronymus (347 - 420) und vor allem Augustinus (354 - 430) mit seiner Eid-Lehre das Schwören salonfähig. Im Mittelalter war der Eid dann, insbesondere als Amtseid, ein gängiges Mittel päpstlicher Politik. Seinen traurigen Höhepunkt erreichte die kirchliche Schwurpraxis unter Pius X., der ab dem Jahr 1910 den meisten Klerikern den sogenannten Antimodernisteneid abverlangte. Der Eid „war im Anschluß an das Glaubensbekenntnis in kniender Haltung abzulegen, persönlich und mündlich, und in einem aufzubewahrenden Dokument zu unterschreiben; Eidverweigerer mussten dem Heiligen Offizium angezeigt werden“ (Kreusch 2005, S.162). Der erste Satz des Textes lautet:

„Ich umfasse fest und nehme an alles und jedes Einzelne, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt ist, besonders die Hauptstücke ihrer Lehre, die unmittelbar den Irrtümern der Gegenwart entgegen sind.“

Das „irrtumslose Lehramt“ beruht auf der vom I. Vatikanischen Konzil 1870 dem Papst zugeschriebenen Unfehlbarkeit. Mit „Irrtümern der Gegenwart“ waren unter anderem gemeint die darwinistische Entwicklungslehre, die Philosophie des 19.Jahrhunderts und die kritisch-historische Bibelwissenschaft. Mit dieser Ausrichtung stellte sich die Katholische Kirche allerdings ins geistig-kulturelle Abseits. Noch im Jahr 1962 hatten bei der Eröffnung des II. Vatikanums die Konzilsväter die Eidesformel gegen den Modernismus im Plenum zu sprechen.

Im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil ersetzte 1967 die Kongregation für die Glaubenslehre den Antimodernisteneid durch eine Professio fidei (Glaubensbekenntnis), die sich zusammensetzte aus dem Credo und einem einzigen weiteren Satz:
"... was die Kirche ... vorträgt und festlegt, nehme ich im Ganzen und im Einzelnen an und halte daran fest ... , insbesondere die Lehrstücke über das Glaubensgeheimnis der heiligen Kirche Christi und ihre Sakramente, das Messopfer und den Primat des Papstes.“ Auf ein Gelöbnis oder einen Schwur als Schlusssatz, wie in der Formel von 1910, wurde verzichtet.

So weit, so gut. Doch schon 1989 veränderten sich die Verhältnisse grundlegend. Am 09.Januar veröffentlichte die von Joseph Ratzinger seit 1982 geleitete Glaubenskongregation zwei zusammen gehörende Dokumente, die am 01.03.1989 rechtlich in Kraft traten. Es handelte sich zum einen um ein Glaubensbekenntnis mit drei Zusätzen, die jeweils - in unterschiedlicher Verbindlichkeit - die Zustimmung der Gläubigen zu kirchenamtlichen Lehrinhalten einforderten und zum anderen um einen Treueid, der aus fünf Abschnitten besteht und mit einer Schwurformel beschlossen wird.

Die vom Präfekten der Glaubenskongregation im Schulterschluss mit Papst Johannes Paul II. diktierte Anordnung löste eine Welle von Empörung und Protest aus und wirft in der Tat eine Reihe von Problematiken auf:
- Der langjährige Regens und Priesterseelsorger Monsignore Gerd Heinemann fragte in einem Offenen Brief nach den Beweggründen, die die Verantwortlichen veranlassen, „zum jetzigen Zeitpunkt die Professio fidei in ihrem zweiten Teil tiefgreifend zu verändern und den Treueid neu einzuführen, nachdem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1967 die Eidesleistung für die Priester ganz abgeschafft worden war?"
- In der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ heißt es: „Der Bischof von Rom hat ... volle, höchste und universale Gewalt über die Kirche ... Die Ordnung der Bischöfe aber, die dem Kollegium der Apostel im Lehr- und Hirtenamt nachfolgt, ... ist gemeinsam mit ihrem Haupt, dem Bischof von Rom, ... gleichfalls Träger der höchsten und vollen Gewalt über die ganze Kirche.“ Wie konnte es dann sein, dass die neue Professio fidei, die gravierend in die bisherige Praxis der Ortskirchen eingreift, quasi handstreichartig von Rom aus oktroyiert wurde, ohne dass zuvor der Weltepiskopat in die Entscheidung eingebunden war?
- Die katholische Kirche denkt ja angeblich in Jahrhunderten. Daher erstaunt es, dass die Professio fidei übereilt, in kanonisch ungültiger Form vorgelegt wurde, so dass sich der Termin der ordnungsgemäßen Veröffentlichung auf den 7. Oktober und die Rechtskräftigkeit auf den 08.01.1990 verschob. Dies lässt die Vermutung, dass der Vatikan rasch und schlagkräftig auf die romkritische „Kölner Erklärung“ deutschsprachiger Theologen vom 6. Januar 1989 reagieren wollte, plausibel erscheinen.
- Neben dem Gesetzbuch der lateinischen Kirche CIC gibt es innerhalb der katholischen Kirche noch ein zweites, den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium CCEO (Kodex der Kanones der Ostkirchen). Im Hinblick auf Eidesforderungen fällt auf, dass mehrere Eidvorgaben des CIC im CCEO als Versprechen oder Erklärung gefasst sind. Während beispielsweise die lateinischen Bischöfe gegenüber dem Apostolischen Stuhl den Treueid zu leisten haben, kennt die Ostkirche nur ein Gehorsamsversprechen gegenüber Papst und Patriarchen. Der außerkodikarische Treueid von 1989 für kirchliche Dienst- und Amtsinhaber vergrößert die Differenz zwischen den beiden rechtlichen Traditionslinien und wirkt damit Ökumenebehindernd.

Am Ende seines Offenen Briefes beklagt Monsignore Heinemann die verheerenden Auswirkungen auf die vor Ort wirkenden Priester: „Gegenwärtig sind die Priester angesichts des radikalen Umbruchs in der Pastoral und in ihrer immer geringer werdenden Zahl einer ziemlich hohen, oft an ihre Grenzen stoßenden arbeitsmäßigen, seelischen und geistlichen Belastung ausgesetzt, so dass schon heute nicht wenigen die Freude an ihrem priesterlich-seelsorglichen Dienst abhanden gekommen ist. Die jetzt vorgeschriebene Maßnahme der veränderten Professio fidei und des neuen Treueides stößt bei den meisten Priestern auf gänzliches Unverständnis. Sie erfahren dieses Vorgehen als einen Akt des Misstrauens und als zusätzliche Entmutigung.“

Alle Leser, die sich von der sperrigen rechtlichen Materie nicht verschrecken haben lassen, werden in der nächsten Jugendstil etwas über die Inhalte der Professio fidei und die weitere Entwicklung erfahren.

Stefan Schopf für die Ausgabe 28 der Jugendstil, 23.1.2012